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Tony Lo – der Velo-Missionar

Marke: Giant Markenmacher: Tony Lo

Marke: Giant

Markenmacher: Tony Lo

Von einer kleinen Fahrrad-Bude ist Giant zum globalen Marktführer geworden. Dass die Marke aus Taiwan stammt, ist vielen nicht bewusst. Tony Lo hat sich früh entschieden: Es kommt auf Qualität an, und auf die richtige Botschaft.

Die Maschine, vor der Tony Lo steht, erinnert an einen riesigen Webstuhl. Pechschwarze, haarfeine Stränge wickeln sich von Dutzenden Spulen ab und verschwinden im Bauch des Stahlungetüms.

Es sind Kohlenstofffasern, die hier gesponnen, mit Harzen vermischt und schliesslich zu Fahrradrahmen geformt werden. Nicht alle Türen öffnet der CEO von Giant für den Besucher, das genaue Verfahren bleibt Firmengeheimnis. Carbonrahmen, leicht, stabil und aufwändig in der Herstellung, gelten als Nonplusultra für High-End-Fahrräder.

Noch bis in die Neunzigerjahre war der Stoff, mit dem heute die grössten Radrennen gewonnen werden, ein Nischenprodukt europäischer Manufakturen.

«Wir waren die ersten, die Carbonräder in Massenproduktion fertigen konnten», sagt Tony Lo und balanciert einen fertigen Rahmen, nur 900 Gramm leicht, auf seinem Zeigefinger. Er nannte es Projekt 88: «Im Jahr 1988 starteten wir bei Null, nach drei Jahren hatten wir das Verfahren gemeistert und konnten 20’000 Stück herstellen.»

Jedes Unternehmen braucht eine Marke

Die Halle, in der Lo auf dem Giant-Stammsitz in einem zentraltaiwanischen Industriegebiet steht, ruft bei dem 67-Jährigen Erinnerungen an eine entscheidende Zeit wach. Damals war Giant noch kein Fahrrad-Riese, der Trends für eine ganze Branche setzt und mit seiner Marke als Aushängeschild für Taiwan dient. 1988 trat Giant, typisch für Taiwans Industrie, noch vor allem als Auftragsproduzent für ausländische Marken auf. Verlässlich, günstig und schnell – mit diesen Attributen war der Tigerstaat damals, als noch kaum jemand von China redete, die Werkbank des Westens. Schneller als andere erkannte Lo, der seit 1973 das kurz zuvor gegründete Unternehmen führte, dass dies auf Dauer nicht ausreichen würde.

«Jedes Unternehmen braucht eine Marke», sagt er heute. «Genauso, wie ein Mensch einen Namen braucht. Ohne eigene Marke hat man sein Schicksal nicht in der Hand.»

Die ersten Schritte unternahm Lo auf dem heimischen Markt. 1981 konnten die Taiwaner erstmals Räder mit dem Giant-Logo kaufen, wie sie vorher ausschliesslich unter anderen Namen in den Export gingen. Fünf Jahre später war Lo bereit für den Sprung nach Europa. Eine schwierige Mission. «Nicht nur, dass niemand Giant kannte – viele wussten nicht einmal, wo Taiwan eigentlich liegt», erinnert er sich an seine ersten Reisen.

Und «Made in Taiwan» hatte nicht den besten Ruf. Als Lo dann die ersten Carbonrahmen sah, war das Projekt 88 geboren und der Kurs von Giant entschieden: Spitzenqualität zum möglichst erschwinglichen Preis.

Heute gilt Giant mit 5,5 Millionen Rädern und knapp zwei Milliarden US-Dollar Umsatz pro Jahr als grösster Hersteller der Welt. Produziert wird ausser in Taiwan vor allem in mehreren Werken in China, für Europa auch in den Niederlanden. Den Wettlauf um Niedrigpreise macht Lo nicht mit, Supermarktware für 100 Dollar überlässt er anderen. Giant-Räder beginnen bei 300 Dollar, für Spitzenmodelle steigen die Preise in den fünfstelligen Bereich.

Wir wurden oft ausgelacht

«Die Nummer Eins zu werden, war nie unser Ziel», sagt Lo heute. «Wir haben einen Schritt nach dem anderen gemacht und immer versucht, die bestmöglichen Produkte anzubieten.» Persönlich setzte er sich aber schon früh hohe Ziele. Ob es daran liegt, dass sein Vater Kampfflieger war? 1949 auf dem chinesischen Festland geboren, wuchs Lo in Taiwan auf, wohin sich die nationalchinesischen Truppen im selben Jahr zurückgezogen hatten. «Ich wollte die Welt verändern, wie jeder Junge», erinnert er sich. Nach dem Wirtschaftsstudium an Taiwans bester Hochschule stieg Lo bei einem kleinem Unternehmen mit grossem Namen ein: Giant, 1972 gegründet von King Liu, der zuvor mit einer Aalzucht gescheitert war und heute, mit über 80, noch immer Präsident der Firma ist. «Wegen unseres Namens wurden wir oft ausgelacht», erzählt Lo, während er in die nebenan gelegene Montagehalle führt. «Wir hatten nur 38 Mitarbeiter, als ich dazustiess.» Jetzt, 40 Jahre später, höre er: «Ihr ward so schlau, von Anfang an den richtigen Namen zu wählen.»

Am Fliessband nimmt Gestalt an, was Giant in alle Welt verschickt. Mit raschen Handgriffen montieren Arbeiter Teil für Teil die Räder, die unaufhörlich an ihnen vorbeiziehen. Jeder könnte das Band stoppen, sobald es Probleme gibt. «Weil wir das Problem dann aber immer gleich abstellen, ist das kaum noch nötig», sagt Lo.

Das Prinzip habe er von Toyota gelernt, genauso wie die Anlieferung aller nötigen Teile «just in time». Entsprechend aufgeräumt sieht es in der Montagehalle aus. Alle paar Sekunden ist ein Rad fertig. 800.000 jährlich allein in dieser Fabrik.

Es geht nicht um Fahrräder

Gute Räder bauen viele. Was die Marke Giant heute so stark macht, hat sich erst im Lauf der Zeit herausgebildet: «Wir verkaufen keine Fahrräder mehr. Wir verkaufen Radfahren.» Statt sich mit anderen Herstellern um Marktanteile zu streiten, gehe es darum, den Markt zu vergrössern. Und zwar, indem man Menschen für einen Lebensstil gewinnt, der ihnen zuvor unbekannt war. «Nicht mal ein Fünftel der Menschheit fährt Rad», sagt Lo. «Und noch viel weniger in der Freizeit oder für die Gesundheit. Dabei tut Radfahren so gut!»

Seine Botschaft verkörpert Lo selbst. Kahlgeschoren und gut in Form, leidenschaftlich erzählend und dabei entspannt, wirkt er zehn bis 20 Jahre jünger als seine 67. «Das kommt alles vom Radfahren», kommentiert er trocken. So oft wie möglich lege er die Strecke zur Arbeit per Rad zurück, 35 Kilometer in 80 Minuten, mit einem von 14 Modellen, die zu Hause bereitstehen. «Wenn Du Rad fährst, hast Du keine Sorgen», redet Lo sich in Fahrt. «Du hast immer frischen Wind, brauchst am Ende nur eine Dusche und bist voller Energie. Nicht wie bei anderen Sportarten, die Dich erschöpfen.»

Religiöse Erkenntnis

Lo ist ein Spätbekehrter. Obwohl er schon so lange Räder verkaufte, schwang er sich selbst nur zu Testfahrten auf den Sattel – bis er Mitte der Neunzigerjahre seine persönliche Erleuchtung erlebte. Es war eine Zeit mit Herausforderungen an vielen Fronten. Giant baute sein globales Geschäft aus und stand kurz vor dem Einstieg als Sponsor eines Profi-Radsportteams. «Ich wäre an dem Druck fast zerbrochen, konnte nachts nicht schlafen.» Eines Sonntags begleitete er seine Frau, eine gläubige Christin, zur Kirche. Selbst konnte er bis zu diesem Tag mit Religion wenig anfangen, doch die Predigt fiel auf fruchtbaren Boden. «Danach habe ich zum ersten Mal gebetet und Gott eine Stunde lang all meine Probleme erzählt. Seit diesem Tag mache ich mir keine Sorgen mehr.»

Eine Folge des neuen Lebens nach dem Motto «I will do my best, and God will do the rest»: Lo entdeckte die Vorzüge des Radfahrens für sich und andere. «Nun will ich vor allem Menschen helfen.» Gesundheit, Fitness, Freizeitspass, umweltschonend und naturverbunden – Radfahren als Lösung für die Probleme unserer Zeit. Mit einem stetigen Nachschub dankbarer und finanzkräftiger Kunden als Folge. Das meint Lo, wenn er sagt, es gehe nicht mehr darum, einfach nur Räder zu verkaufen.

Jeder Giant Store ist eine Kirche

Seine Mitarbeiter schwört er so auf die Firmenphilosophie ein: «Jeder, der bei Giant arbeitet, ist ein Missionar. Jeder Giant Store ist eine Kirche. Holt Menschen herein und macht sie glücklich, verbreitet die frohe Botschaft.» Eigene Geschäfte spielen dabei eine Schlüsselrolle. Statt bei Fachhändlern neben anderen Marken zu stehen, wollen die Taiwaner ein weltweites Netz von Läden für die pure Giant-Erfahrung. Der Firmenschriftzug prangt an Fassaden in guten Lagen von London, Paris, Los Angeles, Tokio und Düsseldorf.

Wer hier eintritt, kann nicht nur aus der Produktpalette sein Modell wählen und individuell anpassen lassen, er findet auch ein breites Angebot an Zubehör mit dem Giant-Logo, ob Helme, Hemden oder Wasserflaschen. Und er kann gleich komplette Radtouren buchen, von Giant selbst organisiert. Das Rundum-Konzept erinnert an Apple Stores, doch Tony Lo nennt seinen ersten Starbucks-Besuch als entscheidende Inspiration: «Sie brauchen so gut wie keine Werbung, die Marke ist so stark wegen der Erfahrung, die Kunden vor Ort im Geschäft machen.»

Sein nächstes grosses Ziel: «Ich will Japan helfen.» In dem Riesenmarkt vor Taiwans Haustür stecke die Radfahr-Kultur noch in den Kinderschuhen. Lo meint es so ernst mit seiner Mission, dass er seit einem Jahr Japanisch-Stunden nimmt. Da halte er es mit Einstein, der sagte: «Leben ist wie Radfahren. Wer nicht umfallen will, muss in Bewegung bleiben.»

  • Übersetzung: Tessa Pfenninger
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