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Leica – das grandioseste Schiesswerkzeug der Welt

Marke: Leica Markenmacher: Andreas Kaufmann

Marke: Leica

Markenmacher: Andreas Kaufmann

Vor knapp zehn Jahren rettete der Millionenerbe Andreas Kaufmann das weltberühmte Unternehmen vor der Insolvenz.

Der Kamerahersteller hatte den Anschluss an das digitale Zeitalter verpasst. Heute wächst Leica wieder.

Mitten in Hessen, eine Stunde Autofahrt von Frankfurt am Main entfernt, in dem etwas verschlafenen 13.000-Einwohner-Städtchen Solms sitzt Leica.

Der Fotografen-Mythos. Die Legende.

Das Unternehmen erfand vor 100 Jahren die Kleinbildkamera und revolutionierte damit die Welt der Fotografie. Seit den 1980er-Jahren fertigt es hier zwischen Einfamilienhäusern und grünen Wiesen in einem schmucklosen Flachbau mit Wellblechfassade seine Hightech-Produkte. Der Magnum-Fotograf René Burri beschrieb diese einst als «das grandioseste Schießwerkzeug der Welt». Auf den Wartelisten für die Kameras stehen Namen wie Elizabeth II. und Brad Pitt. Auch sie nehmen Lieferzeiträume von bis zu 12 Monaten in Kauf – alles für die Meisterstücke «Made in Germany».

Noch nimmt man bei Leica seine Besucher mit den Worten «Bitte nicht erschrecken» in Empfang. Im Unternehmen gehe es viel bodenständiger zu als die meisten erwarten würden. Während der Eingangsbereich mit einer silbernen Leica in Übergröße und glänzenden Vitrinen den repräsentativen Teil des Gebäudes darstellt, fühlt man sich im hinteren Bereich um zwei Jahrzehnte zurückgeworfen. Ungefüllte, wie aus der Zeit gefallene Getränkeautomaten stehen in grell ausgeleuchteten Fluren. Hinter Glasscheiben sitzen die Mitarbeiter dicht an dicht. In weißen Kitteln beugen sie sich über die Linsen, die Objektive, die Kameras.

Hier entstehen die Geräte, die mitunter so viel kosten wie ein neuer VW Golf.

Zurück zu den Wurzeln

Doch allmählich heißt es Abschied nehmen von Solms, dem Platzmangel und den tristen Fluren.

In Wetzlar, nur zehn Kilometer entfernt, ist ein neues Werk entstanden. Im kommenden Jahr werden die 1.500 Mitarbeiter peu à peu in den 28.000 Quadratmeter großen Gebäudekomplex ziehen und damit dahin zurückkehren, wo einst alles seinen Anfang nahm. 1913 erfand Oskar Barnack dort die 35-mm-Kleinbildkamera und verhalf der Firma, die damals noch Leitz hieß und für die Barnack als Entwicklungschef tätig war, zu weltweitem Ruhm. Derjenige, der die Rückkehr an diesen traditionsreichen Ort zu verantworten hat, heißt Andreas Kaufmann, ist 60 Jahre alt und besitzt in Solms nicht einmal ein Büro. Er ist ein viel beschäftigter Mann, der ständig auf Reisen ist und in Salzburg lebt. Ihn in Solms zu treffen kann schon einmal ein halbes Jahr Geduld erfordern. Kaufmann ist Vorsitzender des Aufsichtsrats bei Leica, heute gehören ihm 55 Prozent der Firma.

Als er 2004 bei Leica einstieg, stand das Unternehmen unmittelbar vor der Insolvenz. Einst sagte Kaufmann über diesen Zeitpunkt: «Irgendwann gab es die Fragestellung: Bleibst du Lehrer oder fängst du etwas mit dem an, was dir anvertraut wurde?»

Erst die Revolutionierung der Welt, dann die Rettung von Leica

In seinem ersten Leben, bevor Kaufmann ein Stück Fotografiegeschichte vor dem Untergang rettete, war für ihn, so sagt er, die Revolutionierung der Welt das Wichtigste. 15 Jahre hatte er an einer Waldorfschule unterrichtet. Er hatte Politologie, Wirtschaft und Literaturwissenschaft studiert, lange Haare getragen und war bei der Gründung der Grünen dabei gewesen. Doch dann vererbte seine Tante ihm und seinen zwei Brüdern ein Vermögen, über dessen genaue Höhe es nur Spekulationen gibt. Sicher ist: Das Erbe war so groß, dass die Brüder beschlossen, eine Holding namens ACM zu gründen mit der sie in die unterbewertetsten deutschen Firmen einsteigen wollten, vorrangig solche, die auch in Deutschland produzieren. Leica war ein solches Unternehmen. An den Abgrund, an dem Leica damals stand, hatte sich die Firma selbst manövriert: Noch bis zum Einstieg der Gebrüder Kaufmann 2004 glaubte man in Hessen, die Digitalisierung der Kameraindustrie sei nur eine Phase, die vorübergehe. Obwohl revolutionäre Ideen in den Schubladen des Unternehmens lagen und man sie womöglich nur hätte umsetzen müssen, verpasste Leica den Anschluss an die Digitalisierung komplett. Bis 2006. Dann führte Leica unter Andreas Kaufmann die erste Digitalkamera ein, zu einem Zeitpunkt also als es längst üblich war, dass Mobiltelefone integrierte Kameras besaßen. Drei weitere Jahre vergingen bis die Wende gelang: Seit 2009 schreibt Leica wieder schwarze Zahlen. Heute liegt der Umsatz bei knapp 300 Millionen Euro, 140.000 Kameras verlassen jährlich das Solmser Werk. Doch der Weg dahin war steinig. Seinen Brüdern muss dieser Weg schnell zu steinig geworden sein, bereits 2005 stiegen sie wieder aus. Ein Schritt, den Kaufmann nicht kommentiert. Über die Anfangszeit, die andere später als Wahnsinn und Kamikaze beschreiben werden, sagt Kaufmann: «Es war ein Ritt über den Bodensee.»

Er glaubte an Leica, weil er an die Menschen im Unternehmen glaubte.

Er sagt: «Den Skeptikern war nicht bewusst, dass diese sehr gut ausgebildeten, sehr passionierten Menschen wirklich etwas reißen können, wenn sie die Möglichkeit dazu haben.» Kaufmann investierte weitere Millionen. Zwischenzeitlich gehörten ihm 96,5 Prozent. Ob er sich je gefürchtet hätte am Ende als Verlierer dazustehen?

Ich habe keine Angst im Leben. Unser Schicksal liegt in Gottes Hand, da muss man eine gewisse Gelassenheit entwickeln.

Und gelassen wirkt er: Der Mann mit der dunklen Brille und dem locker sitzenden Anzug lacht ständig.

Menschen, die Kaufmann gut kennen, beschreiben ihn als «unprätentiös» und «durch und durch sympathisch». Selbst unter Zeitdruck, wie an diesem Nachmittag im Herbst, an dem er schon weit und umständlich gereist ist, mit Auto und Flugzeug und viel Verspätung, bringt ihn offenbar nichts aus der Ruhe. Fragen beantworten und gleichzeitig fotografiert werden, ginge das, Herr Kaufmann? - Kein Problem, sagt der und lacht wieder. Jeder Satz ist druckreif, die Bitten des Fotografen werden fröhlich befolgt. Ein paar Fragen zu dessen Objektiven müssen trotz Zeitmangels sein. Schließlich ist Kaufmann leidenschaftlicher Hobbyfotograf. Über seine Erbschaft sagt er, seine Tante habe diese ihm und seinen Brüdern anvertraut. Sie seien darauf vorbereitet worden. «Wir wurden frugal erzogen. Das prägte unser Verhältnis zu Geld.» Fünf DM Taschengeld hat es gegeben, mehr nicht. «Wer keinen sonderlich ausgeprägten Lebensstil pflegt, kann auch etwas wagen. Wenn es daneben geht, lebt man ja weiter. Insofern ist Kapital für mich nur ein Instrument, meine Fähigkeiten einzusetzen», sagt Kaufmann.

Wenn er jeden Morgen aufsteht und dafür kämpft, dass Leica auf dem Erfolgskurs bleibt, auf den er es in den vergangenen Jahren zurückgeführt hat, dann tut er das auch für seine Tante.

Für mich war Reichtum nie Konsumkapital, sondern Unternehmer- und damit Verantwortungskapital.

Ob Kaufmann sich ein Leben ohne Leica und Arbeit vorstellen könnte? «In unserer Familie sagt man: Cowboys sterben in ihren Stiefeln». Leica ist für ihn ein Langzeitprojekt mit dem er niemals abschließen wird. Er träume nicht vom Faulenzen an der Côte d’Azur, sondern sei sehr glücklich: «Das Prinzip Rente funktioniert für mich nicht.» Und dann muss Andreas Kaufmann weiter, zurück nach Frankfurt, er hat noch einen Termin zum Abendessen. Ein letztes herzliches Lächeln, dann steigt er in sein Auto und fährt davon.

  • Übersetzung: Tessa Pfenninger
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