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Orlando Bassi – Peter Pan im Dschungel

Marke: Atelier Bassi Markenmacher: Orlando Bassi

Marke: Atelier Bassi

Markenmacher: Orlando Bassi

Auf der indonesischen Insel Bali widmet sich der Bündner Orlando Bassi einem uralten Handwerk: seine handgeknüpften Haarteile und teilweise beispiellosen Perücken finden Absatz in der ganzen Welt und landen nicht selten auf berühmten Häuptern.

Auf der Hauptstrasse Jalan Raya durch Ubud herrscht stockender Verkehr. Touristen und Einheimische durchmischen sich auf den Gehsteigen und überholen in ihren uniformen Flip Flops unaufgeregt schlendernd die Autos, deren Fahrer so gelassen sind, dass schnell klar wird, dass diese Situation nichts Aussergewöhnliches zu sein scheint.

«Zeit funktioniert hier anders», wird Orlando Bassi die Anreise später kommentieren. Warmer Regen kullert an den Scheiben herunter, draussen dicht aneinander gereiht Galerien, Cafés und Läden. Die Strasse in Richtung der nördlich gelegenen Nachbarsdörfer führt durch eine Allee von Ateliers, Werkstätten und Handwerksläden in Familienhand. Nach knapp 30 Minuten auf immer weniger stark befahrenen Strassen erreicht man das kleine Dörfchen Abuan – oder in Orlando Bassis Welt: sein Peter Pansches Nimmerland.

In Nebelschwaden gehüllte Bergkämme umgeben das kleine Reich, das sich der Bündner hier aufgebaut hat. Ein Filmstudio, eine Manufaktur, ein Showroom und rundherum Pflanzen von sattem Grün, eine bunte Vielfalt an Schmetterlingen und exotischen Vögeln. Und einer davon ist er selbst, Orlando Bassi, Herr über seine eigene kleine Traumwelt. Sein Kerngeschäft ist die Produktion und der Vertrieb von handgeknüpften Perücken und Haarteilen. Ganze Frisuren, Schnurrbärte, Brusthaare, Bärte – alles wird hier hergestellt und findet weltweit reissenden Absatz.

Ob für die Fernsehserie «Spartacus», das Broadway-Musical «Spiderman» oder für die Hollywood-Produktion «Exodus»: die Haarprachten dafür werden auf der indonesischen Insel handgeknüpft. Allein dreihundert Bärte waren es, die Regisseur Ridley Scott für den im Dezember 2014 erwarteten Blockbuster «Exodus» in Auftrag gab. Aber auch der britische Gerichtshof ist ein treuer Kunde: Aus Rosshaar fertigt Bassi die traditionellen Perücken der britischen Anwälte, der sogenannten «Barristers». Um aufzuzeigen, wie rasch man sich durch eine aufgesetzte Haarpracht verändert, setzt sie sich Bassi gleich selbst auf – «praktisch, wenn man selber keine Haare hat» – bevor er weiter durch die Manufaktur führt. Hier sind zweihundert präzis arbeitende Hände täglich am Werk. Im Archiv stapeln sich Kisten randvoll mit Haaren.

Die Regale sind angeschrieben mit «Indonesian Hair» oder «Indian Hair». Selten und teurer ist das sogenannte «Eurohaar», das meist aus Russland oder der Ukraine stammt. Die Angestellten bürsten das Haar mit grossen Kämmen, färben es in Alu-Pfannen und knüpfen es im Anschluss an Holzköpfen auf die Montur. Und zwar einzeln. Jedes Haar. Die Montur besteht aus Tüll, der exakt dem jeweiligen Schnittmuster der vom Endkunden bestellten Frisur entspricht. Die gewünschte Farbe, Länge und Dichte der Haare werden auf Datenblättern vermerkt, die nach dem Gebrauch abgelegt werden. Durch die hohe Luftfeuchtigkeit wellen sich Blätter wie Ordner im Regal. Orlando fischt ein Exemplar heraus und zieht die Augenbrauen hoch: «Das ist super so, wir sind schliesslich auf Bali. Man muss sich den Umständen eben anpassen.» Bei allem, was er sagt, schwingt eine gewisse Ironie mit, die nie ganz greifbar ist.

Guet in dr Schwiz chämtsch Vögel über, das isch klar.

Durch seine vielseitigen Interessen und den regen Austausch mit der Filmbranche wurde der umtriebige Maskenbildner unverhofft auch zum Unternehmer und führt inzwischen sechs Firmen, darunter auch das erste und bislang einzige «Movie Studio Bali». Ingesamt führt Bassi 145 Mitarbeiter, wie einer von ihnen erzählt. Doch Bassi unterbricht ihn mit einem amüsierten Grinsen im Gesicht: «Gut, ich zahle einfach 145 Löhne aus, das weiss ich. Wo die Leute dann immer genau sind, das weiss ich nicht.» Er lacht und fügt erklärend an: «Viele sind tagsüber bei Zeremonien und deshalb auch mal abwesend.» Bassi respektiert die indonesische Kultur. So fürchterlich er über die Verhältnisse stöhnen mag, so leidenschaftlich schwärmt er von der Lebensart der Menschen: «Es ist alles leichter, passiert mit mehr Humor. Ich habe mich in Indonesien ab dem ersten Tag wohl gefühlt. Egal ob in Surabaya, Jakarta oder hier auf Bali, wo ich jetzt zuhause bin.» Aufgewachsen ist Bassi in Buchs im St. Galler Rheintal. Eigentlich hätte er die Metallbaufirma seines Vaters übernehmen sollen. Tatsächlich entschied er sich zunächst für eine Lehre als Fernsehtechniker, die ihn aber nicht glücklich machte. Später absolvierte er eine Lehre als Friseur, bevor er sich als Maskenbildner weiterbildete. «Die Menschen haben sich hier ihre kindliche Seele irgendwie bewahrt», findet er. «Das gefällt mir.» Verlangt denn diese andere Grundeinstellung der Mitarbeiter auch nach einer anderen Führung? «Generell ist es wohl überall auf der Welt im Grunde genommen dasselbe, wenn man Leute führt», meint Bassi.

Im Unterschied zu Europa wünschen sich die Angestellten hier eher eine Vaterfigur und Patron als einen CEO, wie er im Management-Lehrbuch steht.

«Hier möchten Mitarbeiter als Vorgesetzten jemanden sehen, der motiviert, der keine Schwächen und immer eine Lösung parat hat.» Das hat Bassi mit der Zeit verstanden. «Aber sie lernen nun auch von mir», sagt er, «denn ich zeige durchaus auch Schwächen. Da schauten manche komisch am Anfang, aber ich bin auch nur ein Mensch. Wichtig ist, dass man immer präsent und anwesend ist.» Zu Bassis Kerngeschäft gehören auch Make Up Produkte und Spezialeffekte für Film und Theater, Shows und Musicals. Er wedelt auffordernd mit einer offenen Schulter und bittet in sein Gruselkabinett. Abgetrennte Beine liegen hier neben Riesenspinnen, Wasserleichen und Monsterzähnen. Immer wieder zieht er einen Gegenstand aus einem Regal und erzählt eine Anekdote dazu. Ob es an der Hitze liegt oder am Thema, man weiss es nicht, aber Bassi gerät ins Schwitzen. «Filme zu machen wird auch ein Business sein in Zukunft, jetzt ist es vor allem meine Passion. Ich investiere auch viel privates Geld.»

Wenn ich richtig Geld verdienen wollte, liesse sich das anderswie bestimmt schneller umsetzen als mit diesem Zeug hier.

Manchmal wirkt es, als müsste er ab sich selber schmunzeln. «Grundsätzlich ist alles, was ich tue ein grosses Hobby», analysiert er und wagt eine Selbstdiagnose: «Ich glaube, ich habe das Peter Pan Syndrom: Die normalen Wege wollte ich einfach nicht gehen. Nicht erst Kind sein, dann durch die Pubertät gehen und danach einfach nur noch erwachsen sein. Das hier ist einfach auch ein riesengrosser Spielplatz für mich.»

Im Moment arbeitet er an einer Serie von drei Horrorfilmen, die er im Dschungel dreht. «Bali Vampire» und «Spiderville» sind zwei der Produktionstitel. Er will damit nicht nur Spass haben, sondern auch aufzeigen, dass es in Indonesien möglich ist, mit einem relativ kleinen Budget hochqualitative Filme zu drehen. «Mit einem Trailer für «Spiderville» wollen wir uns in Cannes bewerben, um Fördermittel zu bekommen.» Er schiebt die eine grosse Studiowand auf, blickt auf das grosse Reisfeld dahinter und atmet tief ein. «Isch doch schön», sagt er zufrieden. Man hätte die Kulisse tatsächlich nicht so märchenhaft erfinden können.

Ein paar Gänse tauchen ihre Schnäbel in das stehende Wasser um die Reispflanzen und vertilgen Ungeziefer. Ein Mann mit buntem Schirm geht langsam über das Feld und ein munterer Hund rennt ihm hinterher. Und rechts neben dem Eingang – der riesige Kopf eines vom Regen nassen Monsters mit aufgesperrtem Maul. «Ach so, das. Ein Requisit aus «Amphibious», einem der letzten Filme», winkt Bassi ab. Und mit seiner vermeintlich ernsten Miene fügt er an: «Ich glaub in mir steckt schon einfach auch immer noch sehr viel Kind.»

  • Bilder: Olivier Brandenberg
  • Text: Olivia El Sayed
  • Übersetzung: Tessa Pfenninger
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