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Stutterheim – den Regen umarmen

Marke: Stutterheim Markenmacher: Alexander Stutterheim

Marke: Stutterheim

Markenmacher: Alexander Stutterheim

Alexander Stutterheims Marke erzählt mit dem dazugehörigen Claim «Swedish Melancholy at its driest» eine rundum stimmige Geschichte. Das Beste daran: sie ist nicht erfunden.

Am finsteren Pol der Melancholie lauert die Depression. Während das Zuviel auf der düsteren Seite je nach Ausmass in einer ärztlichen Behandlung resultiert, herrscht am Gegenpol nur süsse Schwermut. Keine Hektik, kein Rennen, kein bedenkenloser Konsum. Allem fehlt einzig das Tempo und die Hysterie. Das schafft Raum für tiefsinnige Gedanken und Kreativität.

Von Aristoteles stammt die Aussage, dass alle aussergewöhnlichen Menschen in Philosophie und Kunst Melancholiker sind. Während ihm wohl in keinem Land unbedingt jemand widersprechen möchte, wird das kreative Potenzial der Melancholie in Skandinavien regelrecht zelebriert.

Man kann sich gegen die Dunkelheit wehren und wird irgendwann frustriert aufgeben. Oder man lässt sie einfach rein, wenn sie anklopft.

Nicht ohne Grund hat sich der Begriff «Schwedenkrimis» schon fast zur Genre-Bezeichnung gemausert. Oder erst kürzlich das gewaltige Bestseller-Romanprojekt des norwegischen Schriftstellers Karl Ove Knausgård, dänische Fernsehserien wie Borgen, Modelabels, Bands – der kreative Ertrag aus Skandinavien ist reichhaltig.

Was soll man aber auch anderes tun, bei monatelangen dunklen Wintern? «Man kann sich gegen die Dunkelheit wehren und wird irgendwann frustriert aufgeben. Oder man lässt sie einfach rein, wenn sie anklopft», sagt Gründer und CEO Alexander Stutterheim, dessen schwarze Kleidung jeder Aussage ein nonverbales Echo verleiht. «Am besten beginnt man im Kleinen damit und fängt an, den Regen zu umarmen.» Alexander trägt einen schwarzen, grob gestrickten Wollpulli, der um den Hals mit etwas endet, was von der Grösse her mehr einer Halskrause denn einem Kragen ähnelt. Er drapiert seine zwei Meter Körper in einen zu klein wirkenden Stuhl in einem zu klein wirkenden Büro. Das niedrige Zimmer findet sich in einem Haus, das wiederum Teil einer Art Bullerbüesken Anlage ist. Drei kleine rote Häuschen stehen hier in diesem umzaunten Garten im Schatten einer Kirche dicht beieinander. Hinter den grün und weiss gestrichenen Fensterrahmen stehen kleine Blumentöpfe auf dem Sims. Es würde nicht verwundern, wenn gleich noch Madita übers Dach spazierte. Drinnen folgt eine Elton John Ballade auf einen Song von Tracy Chapman. Die leisen Töne tanzen langsam an den Wänden auf und ab und hüllen alles noch so emsige Tippen von Alexanders Gegenüber Johan in einen Mantel der Behaglichkeit. Alexander nickt in Richtung Lautsprecher und lächelt: «Es muss doch auch nicht immer alles nur lustig sein.» Und eigentlich ja: Melancholie ist eine fast schon frische Abwechslung in einer Welt, in der es nach jeder beliebig gravierenden Katastrophe nur Sekunden dauert bis die ersten Witze darüber durchs Netz schwirren. Und dennoch kommt der Claim zur Marke nicht ohne ein Augenzwinkern daher: «Swedish Melancholy at its driest.»

Alexander erzählt: «Ich hatte eine ganz klare Vision von dem, was ich mit Stutterheim Raincoats schaffen wollte. Dieses Thema der Melancholie wollte ich vollumfänglich umsetzen. Aber nicht ohne einen kleinen Schuss Ironie im Claim.» Auch die Mitarbeiter wirken nicht sonderlich schwermütig. Johan Loman, den Alexander aus seiner Zeit als Texter bei Saab kennt, tippt unaufhörlich in seinen Laptop, schnaubt aber bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Das Tippen wie auch sein Lachen klingen ein wenig wie ein schnelles Husten. Immer wieder schaut er kurz auf und ergänzt den ein oder anderen Satz. «Genauso wie mich dieses Anwesen hier inspiriert, inspiriert mich auch die Zusammenarbeit mit Johan», verrät Alexander und Johan grinst gebauchpinselt vor sich hin, noch immer tippend. «Wir sind eigentlich immer im ständigen Austausch. Wenn wir hier nicht reden, schreiben wir uns auf Whatsapp. Das ist cool», sagt Alexander. Die beiden kennen sich flüchtig von früher, als sie beide für Lowe Worldwide arbeiteten.

2010 hatte Alexander dann die Idee mit den Regenmänteln, traf zufällig in einem Hotel auf Johan, besprach die Idee mit ihm und 2011 liess sich dieser risikofreudig mit ihm auf das Abenteuer Stutterheim ein.

Es gab nichts, was schön anzuziehen wäre bei schlechtem Wetter.

Die Marktlücke, die Alexander dazu bewog, das zu tun, wofür er heute mit seinem Namen steht, präsentierte sich an einem verregneten Nachmittag in Stockholm, als er auf dem Weg zu einem Meeting eine Pause einlegte, um sich einen Kaffee zu gönnen. Er schaute aus dem Fenster und beobachtete all die vorbeihastenden Gestalten mit ihren eingeknickten Schirmen, andere wie sie in ihren funktionalen Regenjacken oder mit einer Zeitung als Schutz für ihre Frisur an ihm vorübereilten.

«Niemand war gut angezogen in diesem Moment, kein einziger von ihnen», erinnert sich Alexander. «Ich im Übrigen auch nicht», fügt er gleich an und schneidet eine Grimasse. «Ich trug einen schlichten Anzug von Helmut Lang. Und obendrüber eine sperrige Goretex Jacke, weiss-pink, mit Reflektoren und Klettverschlüssen überall.» Es war in diesem Moment, als er realisierte, «dass es einfach nichts gab, was schön anzuziehen wäre bei schlechtem Wetter.» Als wenig später sein Grossvater verstarb und Alexander beim Wohnungsräumen auf dessen alten Regenmantel stiess, kam eins zum andern. «Immer wenn wir früher zum Fischen ins schwedische Archipel fuhren, trug er diesen Regenmantel, der schlicht und schwer war, aber in sich so stimmig. Wenn ich an meinen Grossvater denke, sehe ich ihn in diesem Regenmantel und mit einer Fischermütze vor mir.» Er suchte sich also für den darauf folgenden Winter alles zusammen, um bei sich daheim eine neue Version des Regenmantels seines Grossvaters zu schneidern.

«Es begann also eigentlich alles als eine Art Anti-Depressiva-Winterhobby. Sowas muss man sich hier zutun, weil die Winter so lang und dunkel sind.» Auf den einen folgten 99 weitere Regenmäntel, alle nach dem Vorbild der Jacke des Grossvaters, alle angefertigt in seinem Wohnzimmer.

Eine Stimme in meinem Kopf sagte: Das sieht gut aus, du reagierst auf eine Marktlücke. Eine andere: Was denkst du eigentlich, wer du bist? Du hast keine Ahnung!

Bei seinem Unterfangen schwankte er permanent zwischen einer unbeschreiblichen Sicherheit, die ihn antrieb, und einer inneren Stimme, die ihm alles wieder ausreden wollte. «Eine Stimme in meinem Kopf sagte: Das sieht gut aus, du reagierst auf eine Marktlücke. Eine andere: Was denkst du eigentlich, wer du bist? Du hast keine Ahnung!» Und er gesteht: «Damit hatte sie ja auch nicht ganz nicht Unrecht. Ich hatte zu dem Zeitpunkt wirklich keine Ahnung von Mode als Business.» Johan hebt den Kopf: «Oder von Steuern!» Sie lachen beide. «Gut ja», gesteht Alexander, «finanziell gesehen war das Ganze sowieso eine Katastrophe.

Die Leute lesen über uns und sehen Jay-Z oder Kanye West in unserem Regenmantel herumlaufen und denken dann, wir wären Millionäre.» Johan hebt wieder kurz den Kopf: «Nicht ganz.» Und sie lachen wieder. Und Alexander nennt die Gründe für den Fast-Bankrott: «Wir gerieten in ein Fieber, wir wollten alles perfekt machen, so wie wir es selbst bei allen andern vermissten. Wir kauften eine uralte Schreibmaschine und schrieben darauf die Beilagenzettel für die Mäntel, wir gaben unheimlich viel Geld aus für Accessoires, wir liessen Tücher von Hand besticken, die wir auf die Verpackungen klebten. Die Geschichte mit der Melancholie verlangte eine eigene Bildsprache, ein eigenes Flair, wir wollten nachhaltig sein, bedacht, nicht Ressourcen verschleudern, lokale Näherinnen unterstützen, wir wollten diese Vision einfach hundertprozentig umsetzen und haben dabei nicht an unsere Finanzen gedacht.» Er dreht gedankenversunken am Ring an seinem kleinen Finger. «Aber man lernt ja immer dazu», sagt er und wippt mit dem Bein. Die Sohle seiner Schuhe deutet auf einen Träger, der viel zu Fuss geht. Oder auf jemanden, der schon länger kein neues Paar mehr gekauft hat.

«Jetzt wo wir langsam nicht mehr Verluste machen, investieren wir aber das Geld lieber in Wachstum. Wir erweiterten die Kollektion, stellen neue Leute an, Geld anhäufen liegt also auch jetzt noch nicht drin.»

Wenn die Geschichte wahr ist, sollte jede Marke ihre Geschichte erzählen. Es führt dazu, dass Menschen daran teilhaben und mitmachen wollen.

Doch das mit der stimmigen Geschichte funktioniert. «Die Leute mögen uns irgendwie, sie wollen ein Teil von Stutterheim sein», sagt Alexander nicht ohne Stolz.

Menschen auf der ganzen Welt dokumentieren ihre Einkäufe und versehen ihre Bilder mit dem Hashtag Stutterheim und laden alles auf Instagram hoch. Sie fotografieren sich auf ihrem Spaziergang, beim Einkaufen, ihre nassen Füsse im Regen, ihre Gesichter unter den gewachsten Kapuzen.

«Das ist wie eine unbezahlte Werbekampagne», sagt Johan. «Diese ganze Geschichte klingt ein bisschen wie erfunden», findet Alexander und grinst. «Ich weiss das. Und mit meiner Vergangenheit als Texter, glaubt mir das sowieso keiner», meint er. «Aber es stimmt wirklich!» lacht er. «Wenn die Geschichte wahr ist, sollte jede Marke ihre Geschichte erzählen. Es führt dazu, dass Menschen daran teilhaben und mitmachen wollen. Immer wieder schicken uns die Leute melancholische Gedichte oder Spotify Wiedergabelisten mit traurigen Liedern. All das erweitert unsere eigene Geschichte rund um die Melancholie um diejenige von Tausenden kleinen anderen Regenwettergeschichten, und das freut uns enorm.»

  • Übersetzung: Tessa Pfenninger
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